Joerg Mandernach - Visual Artist, Kuenstler, Maler, Grafiker, Stuttgart

Texte de/en

Johannes Meinhardt
Rhetorik der persönlichen Piktogramme
zur Arbeit von Jörg Mandernach


I.
Jörg Mandernach geht in seinen Arbeiten von Bildern und Texten aus,
die er vor allem in Massenmedien gefunden hat.
Quellen dieser Bilder können unterschiedlichste Werbefotos in Zeitschriften,
Standbilder aus Musik-DVDs, dokumentarische Fotos sein;
dazu kommen eigene Fotos und Zeichnungen, die aber meist eine spezifische
Durchgangsfunktion in der Konstruktion seiner Bildzeichen besitzen.
Zu den bildlichen Quellen treten Sätze oder Satzfragmente (…). 

Diese gefundenen Bilder haben eine starke Tendenz dazu,
nicht situative Abbildungen zu bleiben, sondern ikonische Zeichen
oder sogar Piktogramme zu werden, also den konkreten, für sich bedeutungslosen
und bloß existenten Wahrnehmungs- oder Darstellungszusammenhang von Bildern
zugunsten der Allgemeinheit und Signifikanz von Sprachelementen aufzugeben.
Dieser Prozess des Zeichenwerdens ist bei Jörg Mandernach zentral;
aber er ist komplex und mehrschichtig.

Zum einen reagiert dieser auf Bilder in den Massenmedien, die durch ihren
gesellschaftlichen Gebrauch schon zu Zeichen geworden sind, zu Bildern, die
allgemein bekannt sind, von jedem oder fast jedem wiedererkannt werden können
und die zu beispielhaften gesellschaftlichen Stereotypen oder markt- und
medienmythischen Bildern geworden sind: Ikonen der Medienkultur (…).
Solche Bilder knüpfen an ein populär-kulturelles bzw. popkulturelles,
massenmediales Wissen an, in dem sich Wertvorstellungen, Wunschbilder und
Phantasmata mit diesen Bildern verbinden. Solche Bilder haben deswegen die
Tendenz, sich durch häufigen Gebrauch in der Werbung, in den Medien oder in
Subkulturen als Zeichen zu etablieren, durch eine Art von fortwährendem
Zitiertwerden; so laden sie sich mit einem zunehmend stabilen Kontext auf,
der ihnen eine relativ feste suggestive Bedeutung verleiht.

Auf diese Weise können sie, in einem nächsten Schritt, von durch die Medien
verbreiteten semantisch-assoziativ aufgeladenen Bildzitaten oder Stereotypen
zu klar definierten Labels, Brands, Markenzeichen werden; also zu einer Art
von Piktogrammen, die wie Marken funktionieren, den Charakter von Eigennamen
annehmen. (...)
Jedoch interessiert sich Jörg Mandernach weniger für eine allgemeine Analyse
des Zeit- und Milieutypischen an solchen Zeichen; vielmehr interessiert er
sich für sie, weil sie auf einer subjektiven Ebene auf ihn wirken. Nur in
dem Maße, wie diese Zeichen ihn affizieren, wie sie auf ihn einwirken, wie
sie sich für ihn mit starken Suggestionen und Assoziationen aufladen,
beschäftigt er sich mit ihnen.
Das ermöglicht aber auch, dass Bilder, die noch nicht zu allgemeinen Labels
geworden sind
, auf den Künstler wirken und von ihm affektiv und biographisch
aufgeladen
werden; so werden sie zu einer Art von persönlichen Piktogrammen.
Solche privaten Zeichen entstammen insbesondere dem Bereich der Noise Music,
aber auch des Pop und des Rock (…). Auch die in vielen Arbeiten zitierten Titel
und Sätze stammen aus einem solchen musikalischen Milieu. 

II.
Das Finden dieser Zeichen ist für Jörg Mandernach nur der erste Schritt.
Die vielen Kulturen, minoritären Kulturen und kulturellen Subkulturen, die in
den westlichen Gesellschaften, teilweise sogar auf der ganzen Welt gleichzeitig
bestehen, insbesondere in den oft gegeneinander stark differenzierten
Jugendkulturen, schaffen eine Gleichzeitigkeit sehr unterschiedlicher
kultureller Welten, in denen bestimmte Zeichen oder Symbole unterschiedlichste
Bedeutungen besitzen können. Diese Gleichzeitigkeit von kulturellen
„Parallelwelten“
setzt der Künstler gezielt ein, indem er die Mehrdeutigkeit
von Zeichen, die verschiedenen Welten zugehören, betont.

In einem Clash of Cultures oder eher Mesh of Cultures lässt er die diffus
kulturell aufgeladenen Bedeutungen und Wertungen von Zeichen aufeinanderprallen
oder sich vermischen. Nur in dem Maße, wie wir, die Betrachter oder eher Leser,
die kulturellen Kodes kennen, auf die er anspielt, wie wir ein passendes
mediales Wissen erworben haben, können wir dieses Spiel der unterschiedlichen
Bedeutungen mitspielen.

Mandernachs Verfahren geht nicht darauf, ein Archiv der kulturellen Symbole
oder Markennamen zu erstellen; es geht ihm nicht um eine Analyse der Sprache
dieser komplexen, vagen Zeichen.
Vielmehr will er solche Zeichen in ihrer kulturellen Mehrdeutigkeit zeigen
und betonen, um Aufmerksamkeit auf diese medialen Phänomene lenken, um sie in
das Bewusstsein zu rücken, um die kulturelle Mehrdeutigkeit wahrnehmbar zu
machen, die durch unterschiedliche kulturelle Kontexte entsteht.

Bei der Erzeugung und Konstellation dieser Zeichen arbeitet Jörg Mandernach
nicht primär semantisch, sondern folgt einer Rhetorik: einer Rhetorik der
ikonischen Zeichen
. Denn diese Zeichen werden von vornherein als komplexe,
aber auch bis zu einem gewissen Grad individuell zusammengesetzte
Konstellationen eingesetzt, deren semantische Ebene sehr undeutlich ist, die
viel eher evokativ als artikulativ funktionieren.
Ihre Komplexität beruht vor allem darauf, dass sie mehrere Schichten umfassen,
dass in ihnen unterschiedliche Formen, Bilder oder Zeichen einander überlagern
und durchdringen
. Und diese zusammengesetzten Zeichen, die den „Figuren“
in der Rhetorik vergleichbar sind und die ein Repertoire bilden, das der
Künstler im Laufe der Zeit auf kleinen Papieren aufgezeichnet hat und das
immer weiter anwächst, werden ihrerseits in den Zeichnungen, Raumzeichnungen
und Gemälden miteinander kombiniert.

Dabei ist die Arbeit mit diesen ikonischen Figuren, die eher einer Rhetorik
oder sogar einem System von veränderbaren Spielregeln gehorcht als einer
Semantik, verwandt mit den Verfahrensweisen in der Improvisation in der Musik,
besonders in der Noise Music: ausgehend von komplexen Patterns oder Licks,
in denen unterschiedliche Ebenen schon miteinander verknüpft sind, besteht
Produktion in einem Spiel der Erfindungen, Abwandlungen, Variationen,
Verknüpfungen und der Herstellung von Wechselbeziehungen solcher Figuren
.
In der Musik wurde diese Verfahrensweise in den letzten 20 Jahren Instant
Composition genannt. Dabei sind das Ausgangsniveau und die Komplexität der
Licks oder Figuren hoch; ihr Einsatz in der konkreten Produktionsituation
aber bleibt relativ stark an die Kombination und situative Bearbeitung der
Licks gebunden.

III.
Die einzelne Zeichnung oder das einzelne Gemälde ist dementsprechend das
Ergebnis einer langen, mehrstufigen Ausarbeitung der einzelnen Zeichen; die
gefundenen Bilder durchlaufen einen Prozess der Bearbeitung, der sie anreichert,
verdichtet und kompliziert und dabei die unterschiedlichsten künstlerischen
und medialen Gattungen durchläuft. Der Einsatz verschiedener Medien und
Gattungen in diesem Prozess hat seinen Grund vor allem in den unterschiedlichen
Funktionen des Verfahrens
, (...).
Als solche Gattungen ließen sich beispielsweise ansprechen: Zeichnung, Graphik,
Gemälde, Foto, Standbild, Raumzeichnung.

In einem ersten Schritt werden gefundene Bilder mit der Hand auf kleine Papiere
gezeichnet oder, gewissermaßen, notiert.
Der Künstler bevorzugt für diesen ersten Schritt die Handarbeit,
die freie Zeichnung, da Zeichenprogramme im Computer immer schon grafische
Lösungen vorgeben und vorschlagen, die Hand aber einen eigenen
Formbildungsprozess ermöglicht und fordert.

Diese Zeichnungen existieren als Ausgangsrepertoire für die nächsten Schritte
in der Form eines anwachsenden Zettelkastens.

In einem zweiten Schritt werden diese schon festgelegten und damit aus ihrem
Kontext genommenen, verallgemeinerbaren ikonischen Zeichen am Computer grafisch
bearbeitet: sie werden vereinheitlicht, vereinfacht, in ihren grafischen
Positiv- und Negativwerten ausgeglichen und nähern sich so Piktogrammen an,
einer expliziten ikonischen Schrift.

In einem dritten Schritt werden diese ausgearbeiteten, schriftartigen
ikonischen Zeichen in Gemälde, in Zeichnungen und besonders in Wandzeichnungen
projiziert – meist mit der Hilfe von Projektionsfolien. Auch diese Folien,
die eine Art Lexikon der ikonischen Schrift von Jörg Mandernach bilden, bilden
ein Repertoire, das sich ständig erweitert und verändert.
Meistens werden verschiedene Projektionen übereinander gelegt oder, so wie sie
sich der Wahrnehmung auf der Wand zu sehen gegeben, ineinander verschmolzen.
Diese Projektionen zeigen oft selbst Räume oder Raumlinien; in ihnen wird der
fiktive Raum der Zeichnung, der Bildraum – der auch entsteht, wenn
dreidimensionale Körper mit ihrem Umraum Sujet der Zeichnung sind – in ein
gespanntes Verhältnis zum vorgefundenen realen Raum und der vorgefundenen
realen Wandfläche gebracht. In der realen Wand, die den realen, situativen Raum
begrenzt, scheint sich ein Fenster auf einen fiktiven Raum, einen Bildraum,
zu öffnen.

Diese Spannung, die die traditionelle Abgrenzung zwischen Bildraum und realem
Raum ins Wanken bringt
, da der Träger des fiktiven Bildraums und die reale Wand
identisch sind, wird noch erhöht durch eine Besonderheit, welche das Verfahren
der Projektion ermöglicht: wenn schräg projiziert wird, entstehen
anamorphotische Verzerrungen des Sujets, die bis zu dessen Unkenntlichwerden
reichen können. Zum fiktiven Bildraum und zum realen Raum mit der realen Wand
als Begrenzung tritt nun der zentralperspektivische Projektionsraum in eine
Spannung, die bis zum Widerspruch getrieben werden kann:

der Projektionskegel, der von dem Raumpunkt der Projektionslinse ausgeht,
tritt in ein gespanntes Verhältnis zum Bildraum wie zum realen Raum.

Diese Spannung wird noch verstärkt, wenn die durch eine Projektion
vorgezeichnete Zeichnung über Eck oder über mehrere Wände verläuft:
die Einheit des Bildraums wird durch die Vielheit der Wände und die Vielheit
der entsprechenden unterschiedlichen perspektivischen Verzerrungen in Frage
gestellt und dadurch zugleich betont
.

IV.
So sehr Jörg Mandernach in der Herstellung seiner Zeichnungen (und Gemälde)
auch mediale Zwischenschritte einsetzt, so deutlich beschäftigt er sich in
seinen Verfahrensweisen mit den Möglichkeiten und Grenzen eines Zeichnens,
das die Bindung der Zeichnung an ein mentales Vorbild, das die Rückkopplung
der Hand an das Auge und das Bewusstsein zurückzudrängen versucht.
Da, wo klassische Zeichnung das Zeichnen als Mittel der Artikulation von
Intentionalität, Imagination oder Expression versteht, unterläuft er dieses
unterworfene Verhältnis der Hand zum Bewusstsein durch verschiedene Störungen
und Erschwerungen der Intentionalität.

Die Versuche, die Zeichnung als materielle Tätigkeit der Hand von Bewusstsein
und Intentionalität abzukoppeln, finden eine erste Stütze in der Materialität
der Zeichnung
als materielle Einschreibung der Hand in einen Träger mithilfe
eines materiellen Auftrags oder Abriebs.

Das Abkoppeln und die sich damit ergebende Produktivität des Materials und der
Verfahrensweise jenseits der Intentionalität und über alle Invention hinaus
geschieht am deutlichsten durch Verfahrensweisen, die sich an der Materialität
und Körperlichkeit der Zeichnung abarbeiten und damit die Realität der
Materialien und der Tätigkeit der Hand von ihrem Dasein als bloßes Mittel der
Intention oder der Signifikation befreien.

Zu den vielen Techniken, die Jörg Mandernach zu diesem Zweck einsetzt, gehört
das Ausschneiden von Linien mit dem Ziehmesser: der Widerstand des starken
Papiers und die eckige Handhabung des Ziehmessers destruieren die Schönheit
und Eleganz der richtigen Linie. Bei diesem Ausschneiden werden auch in den
Karton, der als Unterlage dient, Messerlinien eingeschnitten; er kratzt die
so aus den hinterlassenen Einschnitten entstandenen Formen ganz aus dem Karton,
so dass sich vorher ungesehene und nicht intendierte Formen zeigen.
Dort, wo er mit dem Messer Textzeilen ausgeschnitten hat, montiert er diese
meist umgedreht auf das Papier der Zeichnung, so dass ganz offensichtlich die
Materialität und die Schnittform der Buchstaben in den Focus der Wahrnehmung
tritt; oft sind diese Buchstaben fast nicht mehr lesbar. Bei diesen Wörtern und
Sätzen interessiert ihn neben der materiellen Realität des Papiers, das
geschnitten wurde, in dem also Träger und Auftrag zusammen gefallen sind, auch
die phonetische Körperlichkeit und Materialität der meist englischen Wörter und
Zeilen: die phonetischen Oberflächenqualitäten von Lautmalerei, von
Wortspielen, von Reimen, von klanglicher Identität von Namen und Begriffen.

In den Raumzeichnungen wird die Betonung der Materialität der Linien noch
verstärkt: so wie der Träger der Zeichnung, die Wand, nicht vom Künstler gemalt
oder bemalt worden ist, sondern ein vorgegebener materielle Wandanstrich ist,
so werden die Linien nicht mit der Hand gezogen, sondern als weiche Streifen
aus Malerkrepp an die Wand geklebt. Wenn damit Kurven erzeugt werden sollen,
wirft das Material Falten oder muss in kleine Stücke gerissene werden, die
in einem meist flachen Winkel zueinander aufgeklebt werden. (...)

Und so, wie in den Wandzeichnungen jede einzelne Linie offensichtlich
aufgeklebt wurde, also eine materielle Collage bildet, schneidet und klebt
der Künstler in seinen Zeichnungen und Gemälden die unterschiedlichsten
Papiere und Collagenmaterialien. Dabei ist die Betonung der materiellen
Schichtung
wichtig, auch die Einbindung der Collage in einen kompositionellen
Zusammenhang
.
Die materielle Schichtung des Collagierens verhält sich genauso
wie das Übereinanderblenden der Projektionen und das Zusammenmontieren der
einzelnen Zeichen: die eigenständige Existenz der einzelnen Bilder oder
ikonischen Zeichen steht im Vordergrund und bleibt erhalten. (...)